Die Mondlibration sorgt für Abwechslung
Der Mond wendet uns stets die selbe Seite zu. Er scheint "wie mit einer Stange mit der Erde verbunden", schrieb einst Johannes Kepler.
Allerdings pendelt die Mondkugel ein wenig um ihren Mittelpunkt. Ein Faktum, das Galilei Galilei 1632 nahe Florenz bemerkte. Diese Bewegung ließ frühe Beobachter offenbar an die eines Waagenbalkens denken, weshalb man sie Libration taufte (lat. librare, wägen).
Beim Mond besteht sie allerdings aus mehreren Komponenten und erfolgt nicht in einer, sondern in zwei Dimensionen.
In Summe ist es, als wolle Frau Luna ein klein wenig bejahend nicken oder den Kopf verneinend schütteln. Salopp gesagt, sehen wir manchmal ihr Kinn, dann ihre Stirn besser; manchmal eher ihr rechtes Ohr, dann wieder ihr linkes.

Von der Terrasse seiner Villa in Florenz aus bemerkte Galilei die Mondlibration
Beide Bewegungen finden gleichzeitig, aber mit unterschiedlich langen und gegeneinander zeitversetzten Perioden statt. Im Mittel dauern die wichtigsten Perioden jeweils rund vier Wochen.
Die maximale Libration in Länge schwankt zwischen fast - 8 und fast + 8 Grad, die in Breite zwischen knapp - 7 und knapp +7 Grad. Um diese Höchstwerte neigt sich ein Punkt auf der selenografischen Mondmitte (Länge = 0° / Breite = 0°) nach rechts, links, oben oder unten.
Dieser selenografische Nullpunkt liegt im Sinus Medii (Bucht der Mitte) zwischen den Kratern Oppolzer (benannt nach dem österreichischen Astronomen Theodor von Oppolzer) und Bruce (nach der US-Förderin der Astronomie Catherine W. Bruce).
Bei passenden Librationswerten blicken wir z.B. ganz exakt von oben auf die Krater Rhaeticus (ohne den Vorarlberger Joachim Rheaticus hätte Kopernikus mit dem Druck seines Hauptwerks zu lange gezögert) oder Triesnecker (Franz de Paula Triesnecker war ein österreichischer Astronom des 18. Jh.). Ähnliches gilt für die Krater Herschel, Flammarion, Schröter, Chladni, Hipparchus oder Pickering.
Wirklich auffällig wird die Libration aber bei der Sichtbarkeit der lunaren Randgebiete.

Das randnahme Mare Crisium
Ist die Libration in Länge positiv, rückt z.B. das Mare Crisium im astronomischen Westen der Mondscheibe etwas mehr vom sichtbaren Rand weg. Dann sieht man dieses Mondmeer unter einem günstigeren, weil nicht ganz so flachem Winkel.
Ist die Libration in Breite positiv, sehen wir den lunaren Nordpol besser. Ist sie negativ, wird hingegen der Südpol bevorzugt.
Ganz randnahe Gebiete tauchen zeitweise auf, zeitweise verschwinden sie. Mit der Libration unterliegt auch das für uns sichtbare Randprofil des Mondes einem periodischen Wechsel.
Dank der Libration überblicken wir nach und nach mehr als die exakte Hälfte der Mondoberfläche. Es sind 59%.
- Bei hoher positiver Libration in Breite blicken wir hinter den normalen Nordrand
- Bei hoher negativer Libration in Breite blicken wir hinter den normalen Südrand
- Bei hoher positiver Libration in Länge blicken wir hinter den astronomischen Westrand und damit hinter den astronautischen Ostrand
- Bei hoher negativer Libration in Länge blicken wir hinter den astronomischen Ostrand und damit hinter den astronautischen Westrand
Astronauten sind keine Astronomen
Schauen wir mit freiem Auge auf den im Süden stehenden Mond, zeigt sein linker Rand zum irdischen Osten, sein rechter Rand zum irdischen Westen. Das entspricht der astronomischen Orientierung. Die Sonne beleuchtet nach Neumond also zunächst lunare Landschaften im Westen und vor Vollmond dann auch solche im äußersten Osten der Mondscheibe.
Ein Astronaut auf dem Mond würde die Sonne nach dieser Bezeichnungsweise im Westen auf und im Osten untergehen sehen - ziemlich ungewohnt. Um das zu vermeiden, gibt es seit 1961 auch eine astronautische Orientierung, bei der Ost und West vertauscht sind.

Auch die Längengrade auf dem Mond werden astronautisch gezählt. Das Mare Crisium, für uns am rechten, also astronomisch westlichen Mondrand gelegen, befindet sich somit auf etwa 59 Grad östlicher Länge.
Man spricht bei den lunaren Koordinaten übrigens von selenografischer Länge bzw. Breite, in Anspielung an die griechische Mondgöttin Selene.

Für die alten Griechen befuhr Selene den Nachthimmel im Mondwagen.
Pferde zogen ihn. Deren Köpfe erblickt man noch am östlichen Giebel des Athener Partheons.
Die Selene wurde später mit der Jagdgöttin Artemis gleichgesetzt. Die Römer verehrten diese unter dem Namen Diana. Das Selen, entdeckt 1817, ist der Mondgöttin Selene gewidmet. Das giftige Element fand unter anderem in Form der sogenannten Selenzellen Verwendung: Ältere Fotografen werden sich an diese frühen, batterielosen Belichtungsmesser erinnern.

Diana im Mondwagen, dargestellt am Haaderhaus in Langenzersdorf
Südblick in ein Entwicklungsgebiet
Astronautiker interessieren sich speziell für das Südpolgebiet des Mondes: Wegen des streifend einfallenden Lichts gibt es dort Kraterböden, in die kein Sonnenstrahl vordringt. Hier könnten künftige Mondfahrern Wassereis gewinnen.
Am Rand dieser Krater erheben sich einige Berggipfel, die ständig von der Sonne getroffen werden. Diese wären vorzügliche Standorte für lunare PV-Anlagen. Mit deren Strom ließen sich aus dem Mondwasser per Elektrolyse Wasserstoff und Sauerstoff erzeugen - und damit auch Raketentreibstoff.
Um dieses lunare Entwicklungsgebiet von der Erde aus betrachten zu können, sollte die Libration in Breite möglichst große Minuswerte zeigen, z.B. - 6°.
Wie kommt man zu den Librationswerten?
Librationswerte für einen bestimmten Termin liefern z.B.:
- WinJUPOS (Freeware)
- Virtual Moon Atlas (Freeware)
- GUIDE (USA)
- Moon Libration Applet von Jürgen Giesen
Bei WinJUPOS wählen Sie die Menüs: Himmelskörper: Mond. Werkzeuge: Ephemeridenrechnung. Graphik (ZM = Libration in Länge, ZBr = Libration in Breite)

Termine von Librations-Extremwerten listet der Virtual Moon Atlas auf.
Starten Sie dazu das Unterprogramm Calclun.
Da perspektivische Effekte ins Spiel kommen, sollte man bei Librationsberechnungen seine Standortkoordinaten eingeben, aufs Winkelgrad genau.
Foto links:
Am astronomisch westlichen Mondrand tauchen bei hoher positiver Libration in Länge (hier +5,6°) die randnahmen Meere Mare Marginis (rechts Mitte) und Mare Smythii (rechts unten) auf.
Perspektivenwechsel
Versetzen wir uns im Geist auf den Mond, wie es Johannes Kepler in seinem Roman Mondtraum getan hat. Landeten wir auf der erdzugewandten Seite des Mondes, erblickten wir die Erde am pechschwarzen Mondhimmel.

Die Erde durchliefe dort alle Lichtphasen, die Erdenbürger auch vom Mond her kennen - allerdings in umgekehrter Reihenfolge.
Wie schon Kepler erkannte, wären die Lichtphasen des Mondes und jene der Erde komplementär.
Foto links: Keplers Mondtraum bei einer Ausstellung (Kopie)
Weilten wir z.B. im Krater Kepler, stünde die Erde (auf den ersten Blick) wie angenagelt am Mondhimmel. Sie ginge niemals auf oder unter. Auch diesen Anblick beschrieb der schwäbische Astronom. Er verfasste seinen Roman aber vor Entdeckung der Libration.
Denn bei genauem Hinsehen schwankte die Erde um maximal 8 Grad um einen mittleren Ort herum - was nicht an ihr, sondern an unserem fiktiven Standpunkt auf dem librierenden Mond läge.

Stünden wir hingegen in einem randnahen Mondmeer wie dem oben erwähnten Mare Marginalis (lat.: Randmeer), erschiene uns die Erde bestenfalls knapp über dem Mondhorizont.
Wir würden deutlich bemerken, wie sie im Rhythmus der Mondlibration in Breite wenige Grad nach links und rechts wanderte.
Im Rhythmus der Libration in Länge ginge sie sogar auf und unter.
Links: Erdaufgang vom Mondorbit aus - Foto NASA/LRO

Blick in Keplers posthum erschienen Sci-Fi-Roman
Beobachtungsaufgaben
- Mustern Sie randnahe Krater bei Librations-Extremwerten in Länge und Breite
- Suchen Sie randnahe Meere wie das Mare Marginis oder Mare Smithii
- Schauen Sie sich das lunare Südpolgebiet bei hohen negativen Breitenwerten an
Alle Angaben ohne Gewähr