Leuchtende Nachtwolken - Forschungsgeschichte - Dr. Christian Pinter - Astronomische Beobachtungstipps

Dr. Christian Pinter
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NLC - leuchtende Nachtwolken: Forschungsgeschichte
Im August 1883 explodierte der indonesische Vulkan Krakatau. Rekordmassen vulkanischer Asche folgten, verteilen sich weltweit in der Atmosphäre.


Der Schrei

In der Folge glühte der Himmel nach Sonnenuntergang in furchterregendem Rot, auch über Europa. Es war wohl dieser Aufschrei der Natur, der den norwegischen Expressionisten Edvard Munch zu seinem berühmtesten Gemälde inspirierte: “Der Schrei”.

Die staubgetrübte Lufthülle sorgte jahrelang für außergewöhnlich farbige Dämmerungserscheinungen. Einer der neugierigsten Wissenschaftler war der 47-jährige Otto Jesse, Mitarbeiter an der Königlichen Sternwarte in Berlin. Im Juni 1885 sah er längere Zeit nach Sonnenuntergang unvertraute, weißsilbrige Wölkchen. Sie ähnelten Federwolken, thronten aber weit über den altbekannten Cirren.

Gemeinsam mit dem Sternwartedirektor Wilhelm Foerster organisierte Jesse ein eigenes Beobachtungsprogramm für die “Leuchtenden Nachtwolken” (englisch: “Noctilucent Clouds”, abgekürzt “NLCs”). Die Vermessung von Fotoplatten, gleichzeitig an unterschiedlichen Orten belichtet, verriet eine unglaubliche Flughöhe von gut 80 km.

1908 riefen sich die NLCs nochmals in Erinnerung. Nach dem 30. Juni 1908 waren sie so hell, dass Engländer Zeitung lesen konnten. Erst später ließ sich ein Zusammenhang mit dem Tunguska-Ereignis in Sibirien herstellen.
NLC am 4.7.2021 über Wien - hier teilweise von (troposphärischen) Wolken verdeckt


Both sides now

Ab 1957, dem Internationalen Geophysikalischen Jahr, wurde die Beobachtung der NLCs neuerlich vorangetrieben. In diesem Jahr begann das Zeitalter der Raumfahrt, und zwar mit dem sowjetischen Satelliten Sputnik. Bald konnte man Raketen durch das Reich dieser Wolken schießen.

"I looked at clouds from both sides now" - sang Joni Mitchell 1969 in ihrem Album Clouds. Um NLCs von beiden Seiten zu sehen, bedarf es neben irdischer Beobachter auch Späher im Weltall.

Der Satellit AIM untersuchte die Wolken von 2007 bis Anfang 2023 vom Orbit aus. 2012 zeigte er: Die Eisteilchen sind 20 bis 70 Nanometer klein - also 10 bis 100 mal winziger als jene der Cirrus-Wolken (NASA-Video auf YouTube).

Seit 2023 behält der US-Satellit NOAA-21 die Wolken im Blick: Er fliegt in einem gut 820 km hohen Pol-zu-Pol-Orbit und kreuzt den Äquator dabei 14 mal pro Tag.

Heavens Above listet NOAA-21 unter der Bezeichnung JPSS-2. Nach Eingabe der Beobachterkoordinaten kann man sich dort auch die sichtbaren Überflüge dieses Satelliten anzeigen lassen.


Wolken im Weltall ?

Die Grenze des Weltalls wird heute zumeist mit 100 km über Grund angesetzt. Vor allem in den USA gibt es aber Bestrebungen, dieses Limit auf 80 km zu reduzieren.

Dahinter stecken - unter anderem - auch kommerzielle Motive: Firmen, die ballistische Kurzzeitflüge in etwas über 80 km Höhe anbieten, könnten dann in ihrer Werbung behaupten, ihre Passagiere tatsächlich "ins Weltall" zu bringen.

Nach dieser veränderten Definition würden leuchtende Nachtwolken bei einer Flughöhe von 84 km bereits im Weltall schweben - was doch einigermaßen widersinnig anmutet. Für mich ist das einer der Gründe, warum man bei der vertrauten 100 km-Grenze bleiben sollte.


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