Anfänge der Meteoritenkunde und Wiener Sammlung
Meteorit Ensisheim zu Gast im NHM
Von einer eigenen Gilde bewacht
Nach einem großen „Klapf“ fuhr am 7. November 1492 ein Stein aus dem Himmel herab. Er bohrte sich nahe der elsässischen Stadt Ensisheim in ein Weizenfeld. Ein Bub war Augenzeuge.
19 Tage später traf der Kaiser Maximilian mit 1.200 Reitern ein. Er ließ den Vorfall als ermutigendes himmlisches Zeichen für seinen Kampf gegen die Franzosen propagieren.
Ensisheim war der erste beobachtete Meteoritenfall in Europa, von dem wir sicher wissen - weil noch Material davon existiert.
Der kostbare Meteorit wird in Ensisheim bis heute von einer eigenen Gilde behütet.
Der Fall von Hraschina wurde dokumentiert
Der Hraschina-Meteorit im NHM
Am Abend des 26. Mai 1751 erblickte der Domherr Balthasar Kercelic ein wolkenähnliches Phänomen am Himmel, das sich nach heftigem Lärm auflöste. Seine Landsleute hatten zuvor einen gleißenden Blitz gesehen. Im kroatischen Hraschina beobachtete Pfarrer Georg Marsich eine feurige Kugel, die sich knallend teilte und vom Himmel fiel.
Pfarrersknecht Michel Kolar berichtete von einem Lärm “als wenn zahlreiche Wägen sich durch die Luft wälzten”. Im Feld des Michel Koturnaß klaffte ein Loch, “einen Ellbogen weit” und “drei Ellbogen tief”. Daraus holte man ein etwa “70 Pfund” schweres, seltsames Eisen heraus (ausführlicher Artikel via web.archive.org, USA).
Kaiser Franz I., Gemahl der Kaiserin Maria-Theresia, befahl, ein Stück davon nach Wien zu senden.
Im Zeitalter der Aufklärung glaubten Gelehrte aber nicht mehr ans Herabstürzen von Massen aus dem Himmel. Schließlich beteuerte das abergläubische Volk auch, es habe Milch, Blut, Fleisch, Quecksilber oder Geldmünzen herabregnen sehen. Manche der angeblich vom Himmel gestürzten Objekte wurden aus den Sammlungskabinetten verbannt. Nicht so das Hraschina-Eisen.
Als Großherzog der Toskana hatte Franz I. 1748 die Naturaliensammlung des Florentiner Universalgelehrten Johann von Baillou erstanden. Die wunderliche Kollektion mit 30.000 Mineralien, Versteinerungen, Muscheln, Schnecken und botanischen Objekten fand im Augustiner-Trakt der Hofbibliothek Platz.
Der Wiener Andreas Stütz wurde Adjunkt des Sammlungsdirektors. Er bekam ein Stück “aschgrauen Sandsteins” zugeschickt, das laut Aussage eines Arbeiters am 19. Feber 1785 im bayerischen Eichstädt in den Schnee gestürzt sein soll. Das weckte Stützs Neugier.
Eduard Ameseder hielt die Stimmung im Mineralienkabinett fest
Krasnojarsk im NHM
Stütz holte das Exemplar aus Hraschina wieder hervor und verglich es mit einem rätselhaften Eisen, das der deutsche Naturforscher Peter Simon Pallas 1749 bei Krasnojarsk, Sibirien, studiert hatte. Es lag fern jeder Erzmine.
Diese Objekte regten Stütz 1790 zur Abfassung einer Schrift mit dem Titel "Über einige vorgeblich vom Himmel gefallene Steine" an. Ihm schien es "unverzeihlich, solche Märchen auch nur wahrscheinlich zu finden". Dennoch verwahrte er diese Objekte sorgsam auf.
Nun betrat jener Mann die Szene, den man als "Vater der Meteoritenkunde" bezeichnen darf (ausführlicher Artikel via internet.archive.org, USA). Der 1756 in Wittenberg geborene Ernst Florens Chladni hatte zunächst in Rechtswissenschaft promoviert. Dann verdiente er sich den Lebensunterhalt als Vortragender, spezialisiert auf Akustik.
Die Klangfiguren (Skizze)
So streute er Sand auf Platten, deren Kanten er mit dem Violinbogen strich. Die hoch gehobenen Teilchen wanderten zu jenen Punkten, an denen die schwingende Platte keine Bewegung ausführte. Symmetrische Muster entstanden. Später sollte man die Chladnischen Klangfiguren beim Bau von Gitarren- und Geigendecken nützen.
Die Vortragsreisen nutzte Chladni für Literaturstudien in verschiedenen Bibliotheken. Dabei studierte er auch Berichte über angebliche Feuerkugeln am Himmel und stieß dabei auf den Aufsatz von Stütz. Juristisch vorgebildet, erkannte Chladni die Bedeutung der darin abgedruckten, beeideten Aussagen von Augenzeugen. Er formulierte eine neue, gewagte Theorie.
Für Chladni war der Raum zwischen den Planeten, den andere für komplett leer hielten, mit Materie erfüllt. Die sollte nie einem großen Himmelskörper angehört haben oder Rest eines zerstörten Planeten sein.
Chladnis erste Schrift
Traf sie auf die Erde, würde sie von der Luft abgebremst und erhitzt. Sie leuchtete kurz als helle Feuerkugel auf und stürzte schließlich unter Getöse zu Boden - so Chladni.
Der Deutsche betonte Ähnlichkeiten der von Stütz beschriebenen Stücke. Er fügte weitere Fallstudien hinzu.
1794 erschien seine Schrift "Über den Ursprung der von Pallas gefundenen und anderer ihr ähnlicher Eisenmassen und über einige damit in Verbindung stehende Naturerscheinungen".
Fragment von L'Aigle (vergrößert)
Wie zu Chladnis Bestätigung regneten am 26. April 1803 gut 2.000 Steine aufs französische L’Aigle herab.
Eine weithin sichtbare Feuerkugel, hallende Detonationen und ein Lärm wie das "Schlagen vieler Trommeln" komplettierten den Vorfall.
Ab 1803 verging weltweit kein Jahr mehr ohne Fall oder Fund - so nennt man das Auffinden eines Meteoriten mit bzw. ohne vorangegangene Sichtung einschläger Erscheinungen am Firmament.
Nun glaubten Wissenschaftler, dass Massen tatsächlich aus dem Himmel stürzen konnten. Es bürgerten sich Bezeichnungen wie "Aerolithe" (Luftsteine), "Meteorsteine" oder "Meteorite" dafür ein.
Doch für Chladnis Zeitgenossen kamen diese nicht aus dem All, sondern bildeten sich innerhalb der Erdatmosphäre. Dort droben sollten z.B. Dämpfe der Metallverarbeitung kondensieren. Andere glaubten an Auswurfmaterial irdischer Vulkane. Wer den Geburtsort doch im All suchte, machte lunare Vulkane verantwortlich. Denn als solche betrachtete man die unzählbaren kreisrunden Krater auf dem Mond damals noch.
Um 1819 beherbergte das Mineralienkabinett 27 Stein- und 9 Eisenmeteorite. Chladnis repräsentative Privatsammlung stand mit nunmehr 33 Exemplaren kaum nach. Damit reiste der Deutsche 1818 nach Wien. Hier veröffentlichte er sein zweites Buch. Titel: “Über Feuer-Meteore und über die mit denselben herabgefallenen Massen”.
Mauerkirchen-Meteorit in München
Schließlich sollte Chladnis private Meteoritensammlung 41 Objekte umfassen. Darunter befand sich auch ein kleines Fragment des 19 kg schweren Steinmeteoriten von Mauerkirchen; er war 1768 im damals zu Bayern gehörenden Innviertel herunter gekommen.
Der englische Mediziner William Thomson lebte mit italianisiertem Vornamen “Guiglielmo” oder “Guglielmo” in Neapel und widmete sich Vulkangesteinen.
Er hatte auch ein kleines Stück des “Pallas-Eisens” aus Krasnojarsk, dem Chladni so viel Beachtung geschenkt hatte. Als sich darauf Rostflecke zeigten, bearbeitete Thomson das Stück mit Säure. Dabei tauchte ein hübsches Muster auf, das zuvor noch nie ein Mensch erblickt hatte. Offenbar bestand das Eisen aus drei Komponenten, die von der Säure unterschiedlich rasch angegriffen wurden.
Krasnojarsk mit Muster
Der englischstämmige Wahlitaliener beschrieb die höchst eigentümliche Entdeckung im französischsprachigen Aufsatz “Über das geschmeidige Eisen, gefunden in Sibirien von Prof. Pallas”. Dieser erschien 1804 in der Genfer Zeitschrift “Bibliothèque Britannique”.
Doch auch Thomson glaubte an eine irdische Herkunft der Meteorite.
Die Entdeckung von immer mehr Kleinplaneten ab dem Jahr 1801 lenkte den Blick der Forscher schließlich aber auf den weiten Raum zwischen Mars und Jupiter. Diese Zone sollte sich später tatsächlich als die Heimat der allermeisten Meteorite erweisen.
1806 übernahm Carl von Schreibers die Leitung des Naturkundemuseums in der Hofburg. Der gebürtige Pressburger wollte die Erforschung der Meteorite vorantreiben.
Hier existierte die ehemalige Druckerei der Familie Widmanstätten
Schreibers studierte den Fall von Stannern und war dann bestrebt, möglichst viele Meteorite zu erwerben.
Er freundete sich mit Alois von Widmanstätten an, dem Leiter des kaiserlichen Fabriks-Produktenkabinetts. Dessen Familie betrieb eine Druckerei in der Grazer Stubenberggasse 5.
Schreibers zeigte Widmanstätten 1808 ein Stück des Hraschina-Eisens.
Hraschina-Plättchen im NHM:
Oben Anlauffarben, unten geätzt
Oben Anlauffarben, unten geätzt
Der Grazer prüfte, wie sich dieses Eisen an der Flamme verhielt. Dabei tauchte, wie von Geisterhand, ein Linienspiel auf. Ein zierliches, regelmäßiges Muster wurde sichtbar.
Nach dem Ätzen mit verdünnter Säure sah Widmanstätten die millimeterbreiten Balken deutlicher, in mattem Glanz und eisengrauer Farbe.
Das nun tastbare Relief von “mehr oder weniger erhabenen und vertieften Figuren” erinnerte den Grazer an die ihm einst so vertrauten Druckletter. Es trat bei etlichen Eisenmeteoriten auf, nicht aber bei irdischem Eisen.
Erst 1820 hielt Schreibers die Entdeckung Widmanstättens in einer Schrift fest, sprach vom "Widmanstättenschen Gefüge". Offenbar ahnten beide Männer nicht, dass Thomson darüber schon 16 Jahre zuvor geschrieben hatte. Schreibers schenkte den Meteoriten nun einen eigenen Saal.
1848 schossen kaiserliche Truppen ausgerechnet den Dachstuhl der Hofburg in Brand. Dem Kurator Paul Partsch gelang es, die Meteorite zu retten. Zuvor hatte er eine Aufstellung mit 258 Exemplaren veröffentlicht und begonnen, sie unterschiedlichen Klassen zuzuteilen. Ähnliches tat man in Paris, Berlin und London: Diese Sammlungen standen teils in Konkurrenz zueinander.
Der Stuttgarter Karl Ludwig Reichenbach residierte in einem von ihm erworbenen Schloss im Wienerwald. Seiner dortigen Experimente mit "sensitiven" Zeitgenossen wegen war er in Wien als "Zauberer vom Cobenzl" verschrieen.
Das Muster vergrößert
Reichenbach studierte Widmanstättens Muster im Mikroskop. Er erkannte drei Bestandteile und schenkte diesen 1861 griechische und deutsche Namen: Kamazit (Balkeneisen), Taenit (Bandeisen) und Plessit (Fülleisen).
Gustav Tschermak im Innenhof der Uni Wien
Die wissenschaftlichen Systematiken gerieten nun immer feiner.
Der Kurator Gustav Tschermak studierte in Wien extrem dünne Schliffe und bannte deren Mikroskopanblick ab 1876 sogar auf Fotoplatten.
1889 übersiedelten die kaiserlichen Sammlungen ins neue Museumsgebäude am Ring - ins Naturhistische Museum.
Der alte Meteoritensaal
2012 ließ der damalige Generaldirektor Prof. Dr. Christian Köberl, selbst Meteoriten- und Impaktforscher, den historischen Saal mit den altehrwürdigen Pultvitrinen vorsichtig renovieren.
Präsentation nach der Neuaufstellung
Es ging darum, Blickfänge zu setzen und die systematische Schausammlung durch Monitore zu ergänzen.
Diese vermitteln nun Wissenswertes über die Meteoritenkunde und die Schausammlung selbst. Präsentiert wurde die Neuaufstellung der Schau im November 2012.
Der Saal hat seine Atmosphäre bewahrt, bietet dem Besucher jetzt aber wesentlich mehr Information. An den Wänden erklären Medienstationen, wie das Sonnensystems einst entstand. Was wir darüber wissen, haben uns zum Teil die Himmelssteine selbst erzählt.
Mit Stand September 2024 besitzt das Naturhistorische Museum 11.825 Objekte. Rund 1.100 davon sind ausgestellt. Damit beherbergt das NHM die größte Meteoritenschausammlung der Welt.
Ein Teil des neugestalteten Meteoritensaals
Beobachtungstipps:
- Besuchen Sie den Meteoritensaal im Wiener NHM
- Schauen Sie sich Beispiele für Eisen-, Stein-Eisen- und Steinmeteorite an
- Suchen Sie die Vitrine mit den österreichischen Meteoriten
- Vergleichen sich das unterschiedlich feine Widmanstätten-Gefüge der meisten Eisenmeteorite
- Suchen Sie nach besonders alten Meteoriten wie z.B. Ensisheim (Stein, LL6), Campo del Cielo (Eisen, Og IAB), Krasnojarsk (Pallas-Eisen, PAL), Hraschina (Eisen, Om IID), Tabor (Stein, H5), Albareto (Stein, H4), Mauerkirchen (Stein, L6), Eichstädt (Stein, H5), Barbotan (Stein, H5), Siena (Stein, LL5), Wold Cottage (Stein, L6), Benares (Stein, LL6) oder L'Aigle (Stein, L6)
Alle Angaben ohne Gewähr