Geschichte der Kleinplaneten-Entdeckung - Dr. Christian Pinter - Astronomische Beobachtungstipps

Dr. Christian Pinter
Beobachtungstipps
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Geschichte der Kleinplaneten-Entdeckung
Südlich von Rom lag das Königreich Neapel, das seit 1735 mit jenem von Sizilien in Personalunion verbunden war. Der Herrscher des "Königreichs beider Sizilien" residierte in Neapel. In Palermo thronte ein Vizekönig.
Ein Teilkreisinstrument von Reichenbach. Ramsdens Version war mannshoch
Der 1746 geborene Giuseppe Piazzi sollte dort ein Observatorium errichten. Daher reiste er zum Instrumentenbauer Jesse Ramsden, der die genauesten Instrumente herstellte.

Bei dieser Gelegenheit besuchte Piazzi auch den Uranus-Entdecker Herschel, der mittlerweile Berufsastronom geworden war.
In einem Turm im Palast des Vizekönigs begann Piazzi, den Himmel mit Ramsdens Teilkreisteleskop zu studieren. Mit dem mannshohen Palermokreis wollte er die Koordinaten von 7.000 Fixsternen vermessen.

Am 1. Jänner 1801 stieß er im Sternbild Stier auf ein Lichtpünktchen, das in den Karten fehlte. Es wanderte von Nacht zu Nacht ein wenig weiter. Jetzt erst langte die Einladung der Himmlischen Polizey bei Piazzi ein. Doch dieser erkrankte, und sein Fund ging verloren.

Baron Zach druckte Piazzis Positionsmessungen in seiner Monatlichen Correspondenz ab. So erfuhr der junge Mathematiker Carl Friedrich Gauss davon.
Ceres-Brunnen in Florenz
Carl Friedrich Gauss ersann eine Methode, um aus den wenigen Beobachtungen Piazzis die Bahnelemente des neuen Objekts zu berechnen. Tatsächlich kreiste es in der Lücke zwischen Mars und Jupiter!

Gauss rechnete auch dessen Lauf in den nächsten Monate voraus. So gelang es dem "Himmelspolizisten" Heinrich Olbers, das Objekt zu Jahresende wieder aufzuspüren.

Piazzi taufte den vermeintlichen Planeten "Ceres Ferdinandea". Ceres war die altrömische Göttin des Ackerbaus und die Schutzgöttin Siziliens. Das passte zu den anderen Planetennamen, die ja ebenfalls der antiken Mythologie entsprungen waren.

Die Verbeugung vor König Ferdinand stieß international aber auf Ablehnung. Man ließ sie schließlich weg und sprach nur von der Ceres.
Pallas-Athene vor der Akademie, Athen
Bloß im Teleskop zu sehen, kreiste die Ceres in 2,77 AE Sonnenabstand. Das stimmte mit dem leeren Platz der Titius-Bode-Reihe bei 2,8 AE überei.

Umso größer war die Überraschung, als Heinrich Olbers 1802 in deren Nähe ein zweites Wandelgestirn fand - und zwar im Sternbild Jungfrau.

Vielleicht wählte er deshalb eine jungfräuliche Göttin aus der griechischen Mythologie aus: Die Pallas-Athene, die streitbare Gottheit des Kriegs und der Weisheit.

Der Kleinplanet Nummer zwei erhielt den Namen Pallas.
Juno vor der Münchner Residenz
Olbers, tagsüber Arzt, nachts Astronom, hielt die Ceres und die Pallas für die Fragmente eines einst größeren, zerborstenen Planeten.

Der deutsche "Himmelspolizist" Karl Ludwig Harding stöberte 1804 jedenfalls ein drittes Objekt auf.

Es erhielt den Namen von Jupiters Gattin Juno, der römischen Göttin der Ehe und der Ehefrauen. Unser Monat Juni ist nach ihr benannt.

Junos Attribut ist der Pfau, weshalb sie mit diesem Vogel auch vor der Müncher Residenz posiert.
Vestalin in Schönbrunn
Olbers machte das Quartett 1807 komplett, mit einem weiteren Fund im Sternbild Jungfrau.

Er taufte ihn Vesta. Die gleichnamige keusche Göttin des Herdfeuers wurde einst in einem Rundtempel auf dem Forum Romanum verehrt, wo jungfräuliche Vestalinnen ihr ewig loderndes Feuer hüteten.

Statt einem neuen Planeten zwischen Mars und Jupiter kannte man dort nun vier. Sie waren aber sehr klein, blieben selbst bei hoher Vergrößerung nur winzige Lichtpünktchen ohne erkennbare Ausdehnung.

Daher sprach Wilhelm Herschel von sternähnlichen Objekten, von Asteroiden. Andere sprachen (der Bahnen wegen) von planetenähnlichen Himmelskörpern, von Planetoiden. Im Deutschen bürgerte sich der Begriff Kleinplaneten ein.
Es sollte fast vier Jahrzehnte dauern, bis der Amateurastronom Karl Ludwig Hencke 1845 den fünften Asteroiden entdeckte. Er nannte ihn Astraea, nach der griechisch-römischen Personifikation der Gerechtigkeit. 1847 stieß er auch auf den sechsten: Die Hebe wurde nach der griechischen Göttin der Jugend getauft. Jetzt verging kein Jahr mehr ohne weitere Entdeckungen dieser Art!

Es folgten die Iris, Flora, Metis, Hygiea, Parthenope, Victoria, Egeria, Irene, Eunomia, Psyche, Thetis, Melpomene und die Fortuna.
Als die Göttinen nach rund 120 Entdeckungen langsam knapp zu werden drohten, wählte man zunehmend weibliche Vornamen wie Gerda, Hilda oder Eva.

Dann verpasste man Ortsnamen weibliche Formen: Aus Bamberg wurde die Bamberga, aus Schlesien die Silesia, aus Dresden die Dresda, aus Brünn die Bruna. Namen wie Adria, Bavaria oder California konnte man eins zu eins übernehmen.


Ein Wettstreit

Wer Kleinplaneten entdecken wollte, musste geduldig durchs Fernrohr blicken und nach Lichtpünktchen suchen, die in den Himmelskarten fehlten.
Die Austria, die Personifikation Österreichs, im Grazer Stadtpark
Ein österreichischer Astronom trieb diese Kunst auf die Spitze.

Nach dem Sieg über die italienische Flotte im Jahr 1866 kürte die Donaumonarchie die istrische Stadt Pula (damals: Pola) zum großen Kriegshafen.

Dort entstand eine Marinesternwarte, wo der am 6.12.1848 in Troppau geborene Johann Palisa die Uhrzeit aus Himmelsbeobachtungen ableitete. Damit wiederum eichte er die Schiffschronometer.

In seiner Freizeit setzte Palisa das recht kleine Fernrohr der Seesternwarte zur Fahndung nach Kleinplaneten ein. Am 18. März 1874 ging ihm das erste Objekt ins Netz. Er taufte es Austria.
Bald ließ Palisa die Meliboea und die Siwa sowie 25 weitere Asteroiden folgen - darunter die Hilda, Elsa, Martha und die Isabella sowie die Polana, Adria und Istria.
Wiener Universitätssternwarte
1880 übersiedelte Palisa nach Wien. An der dortigen Universitätssternwarte bot sich ihm die Chance, mit dem zeitweilig größten Linsenteleskop der Welt (Öffnung 67 cm) zu arbeiten.

Es zeigt lichtschwache Sternchen, die sich in keiner Himmelskarte fanden. Also richtete Palisa das Riesenteleskop auf Regionen des Tierkreises und hielt selbst alle im Bildfeld auftauchenden Lichtpünktchen auf Papier fest.

Nach Mitternacht suchte er das selbe Himmelsfeld wieder auf - und verglich den Anblick Punkt für Punkt mit seinen Aufzeichnungen.
Hatte sich ein Pünktchen verschoben, musste es sich um einen Kleinplaneten handeln. Am 19. Mai 1881 fand Palisa auf diese Weise die Stephania. Allein 1882 stieß er auf neun weitere Kleinplaneten.

Mit der Vindobona und der Weringia setzte er der Stadt Wien und dem Observatorium in Wien-Währing himmlische Denkmäler. Doch Ende 1891 erreichte Palisa eine überraschende Nachricht aus Heidelberg.
Wolfs Turm in Heidelberg
Dort hatte Max Wolf erstmals einen Kleinplaneten, die Brucia, mithilfe der jungen Himmelsfotografie aufgestöbert. Palisa sollte damit ordentlich Konkurrenz bekommen.

Der Sternenhimmel hatte Max Wolf, geboren 1863, schon von Kindheit an fasziniert. Sein Vater ließ deshalb einen zwölf Meter hohen Turm ans Wohnhaus in der Märzgasse 16 anbauen.

Wolf montierte zwei Kameras an sein Teleskop, ausgestattet mit lichtstarken Porträtobjektiven der in Wien gegründeten Firma Voigtländer.
Wolfs Teleskop mit den beiden Kameras
Jede Fotoplatte hielt ein Meer feiner Lichtpünktchen fest.

Am 22. Dezember 1891 war ein kleines Strichlein darunter: Dieses Objekt musste sich während der langen Belichtungszeit weiterbewegt haben.

Wolf hatte seinen ersten Kleinplaneten entdeckt, und das war zum allerersten Mal mithilfe der Fotografie gelungen!

Nach der Brucia fand Wolf unter anderem die Gisela, die Heidelberga und die Ruperto-Carola: Damit verbeugte er sich vor seiner Frau, seiner Heimatstadt bzw. vor der 1386 hier gegründeten Ruprecht-Karls-Universität. Es ist die älteste Universität Deutschlands.

Doch die zunehmende Beleuchtung vertrieb Wolf aus Heidelberg.
Eine der vielen Kuppeln am Königstuhl
Er arbeitete nun am neuen Observatorium am Königstuhl, 446 Meter über dem Lichtermeer der Stadt. Die Kuppelbauten waren über das Areal verstreut. Wolf setzte dort Porträtlinsen mit 40 cm Öffnung ein.

Die fotografische Methode erwies sich dem Auge gegenüber bald überlegen. Sie erfasste viel lichtschwächere Objekte, und die verrieten sich durch die Strichform selbst auf der Platte: Vergleichskarten waren unnötig.

Damit verlor Palisa den Rang als erfolgreichster Kleinplanetenentdecker.
Grabstein von Johann Palisa
Ab 1904 arbeiteten die ehemaligen Konkurrenten zusammen. Palisa vermaß die Koordinaten der Wolfschen Entdeckungen mit dem Wiener Riesenteleskop und sicherte so deren Bahnen. Die von ihm entdeckte Wolfiana widmete er seinem Heidelberger Freund. Wolf bedankte sich mit der Palisana.

Palisa starb am 2. Mai 1925, nachdem er 122 Kleinplaneten (Liste von Herbert Raab) entdeckt hatte. Mit dem visuellen Verfahren - also mit dem Auge am Teleskop - wurde dieser Fahndungsrekord nie mehr überboten.
Grabstein von Max Wolf
Wolf spürte mit seinen Fotoplatten rund doppelt so viele Asteroiden auf.

Doch schon sein ehemaliger Student Karl Reinmuth sollte ihn übertrumpfen.

Auf Reinmuths Konto ging 1923 auch der 1000. Kleinplanetenfund.


Dieser Jubiläumsasteroid wurde zu Ehren von Giuseppe Piazzi, dem aller ersten Kleinplanetenentdecker, Piazzia getauft.

Schon fünf Jahre zuvor hatte der japanische Astronom Kiyotsugu Hirayama die Orbits der bis dahin entdeckten Kleinplaneten analysiert und bei etlichen Objekten sehr ähnliche Bahnelemente gefunden. Er sprach von Kleinplanetenfamilien. Offenbar sind deren Mitglieder Fragmenete einer einst größeren Welt, die Opfer einer Kollision wurde.

Lange kreisten alle aufgestöberten Kleinplaneten brav zwischen Mars und Jupiter. Doch 1906 stieß Max Wolf am Königstuhl auf einen Ausreißer jenseits des Hauptgürtels: Achilles teilte sich den Orbit mit dem Planeten Jupiter. Solche Objekte wurden schließlich Trojaner genannt.
Den ersten dieser Ausreißer, den Eros, hatte der Astronomen Gustav Witt aber schon am 13. August 1898 in Berlin aufgefunden. Er umkreiste die Sonne nicht jenseits, sondern diesseits des Hauptgürtels.

Waren alle Hauptgürtel-Asteroiden davor mit weiblichen Namen versehen worden, so wählten Astronomen für Asteroide auf derart abnormalen Bahnen nun männliche Namen.

Auch hier begann man mit Figuren aus der griechisch-römischen Mythenwelt.

Außerdem ordnete man Asteroide nun anhand ihrer unterschiedlichen Orbits bestimmten Bahngruppen zu.
Die Linsenfernrohre wichen schließlich immer mehr den Spiegelteleskopen. Sie konnten aufgrund ihrer größeren Öffnung wesentlich mehr Licht sammeln. So unternahm das Palomar-Observatorium in Kalifornien - es besaß lange Zeit das mächtigste Spiegeltelekop der Welt - mehrere fotografische Himmelsdurchmusterungen zur Kleinplanetensuche.

Dabei fand man 1987 auch den Asteroiden Nummer 5.000, dessen Name IAU die Internationale Astronomische Union ehrte. Diese weltweite Vereinigung von Astronomen war 1919 in Paris gegründet worden. In ihrem Minor Planet Center findet sich eine Liste mit den Entdeckungsdaten der ersten 5.000 Kleinplaneten.
Spiegelteleskop am Königstuhl
Die Fotoplatten wurden von empfindlicheren Filmen und diese wiederum von der CCD-Technik abgelöst, die auch automatische Suchprogramme erlaubte.

Schließlich analysierte man, wie Asteroiden das Sonnenlicht in bestimmten Wellenlängen reflektieren.

Mit solchen Reflexionsspektren wurden Aussagen über die Zusammensetzung dieser Welten möglich.

Außerdem fielen spektrale Ähnlichkeiten zwischen bestimmten Kleinplaneten und bestimmten Meteoritengruppen auf.
Vor allem Erdbahnkreuzer wie die Apollo-Asteroiden stießen auf Interesse. Zwar gibt es zwischen deren Bahnen und dem Erdorbit keine wirklichen Schnittpunkte - doch wegen langfristiger Bahnstörungen kann es irgendwann dazu kommen.

Eine Gefahr besteht selbst dann nur, falls Asteroid und Erde gleichzeitig diesen Schnittpunkt durcheilen. Bei den Meteoriten in unseren Sammlungen war dies jedenfalls einst der Fall.

Ab 1991 folgten Vorbeiflüge und Besuche von Raumsonden. Mit Ida und Mathilde standen gleich zwei Palisa-Entdeckungen auf dem Flugplan.
  • Gaspra: Vorbeiflug von Galileo (NASA), 1991
  • Ida: Vorbeiflug von Galileo (NASA), 1993; Mond Dactyl entdeckt
  • Mathilde: Vorbeiflug von NEAR-Shoemaker (NASA), 1997
  • Braille: Vorbeiflug von Deep Space 1 (NASA), 1999
  • Eros: Orbit von NEAR-Shoemaker (NASA), 2000
  • Annefrank: Vorbeiflug von Stardust (NASA), 2002
  • Itokawa: Bodenprobe von Hayabusa (JAXA), gewonnen 2005
  • Steins: Vorbeiflug von Rosetta (ESA), 2008
  • Lutetia: Vorbeiflug von Rosetta (ESA), 2010
  • Vesta: Orbit von Dawn (NASA), 2011 und 2012
  • Toutatis: Vorbeiflug von Chang'e-2 (China), 2012
  • Ceres: Orbit von Dawn (NASA), 2015
  • Ryugu: Bodenproben von Hayabusa 2 (JAXA), gewonnen 2018
  • Bennu: Bodenproben von OSIRIS-REx (NASA), gewonnen 2020
  • Didymos & Dimorphos (Doppelasteroid): Einschlag durch DART (NASA), 2022
  • Dinkinesh: Vorbeiflug von Lucy (NASA), 2023 - Doppelmond entdeckt
Mittlerweile wurde die Fahnung nach Asteroiden deutlich ins All verlegt. Das Weltraumteleskop NEOWISE (NASA) stöberte im Infrarot 124.000 neue Himmelskörper auf, davon 215 erdnahe Objekte.

Gaia (ESA) entdeckte über 150.000 bislang unbekannte Körper im Sonnensystem, darunter zahlreiche Hauptgürtelasteroiden und erdnahe Kleinplaneten.

Heute kennt man mehrere hunderttausend Asteroiden mit gesicherten Bahnen. Die meisten sind kaum größer als ein Dorf.

Die erstentdeckte Ceres bleibt mit ihrem Äquatordurchmesser von 964 km die mit Abstand größte unter den Kleinen. Sie ist auch als einziger Asteroid des Hauptgürtels rund genug, um sich für den 2006 eingeführten Titel Zwergplanet zu qualifizieren.
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