Die digitale Videotechnik - Zeitnehmung mit Tücken

Schauen wir uns obige Frames vom Video der Bedeckung des Doppelsterns Gamma Virginis am 3. Juni 2017 an!Die eingestempelten Zeitmarken erlauben eine bequeme nachträgliche Analyse der Sternbedeckungstermine. Meine damalige Philips 900 C Cam hatte bloß eine Auflösung von 640x480 Pixel. Sie hielt die Sterne am achtzölligen Meade LX90 aber offenbar mit 30 fps fest. Die zeitliche Auflösung (0,033 Sekunden) übertraf jene von versierten visuellen Beobachtern somit deutlich - zumindest theoretisch.
Eine empfindlichere CMOS-Cam an einem solchen Amateurteleskop hält auch sehr schwache Sterne fest. Das erweitert die Zahl potentieller Kandidaten radikal.Ich setze heute die Planetenkamera Zwo Asi 678MC am Meade LX90 (Öffnung 20 cm) ein und erfasse nahe des dunklen Mondrands sogar noch Sterne mit 11 mag Helligkeit!Damit die Software Occult derart schwache Sterne überhaupt auflistet, wählt man unter den Lunar Occultation Predictions den Katalog XZ und setzt das Mag limit Adjustment auf 10.

Wächst die Mondphase, kommt es in der Erdatmosphäre und im Teleskop aber zu Überstrahlungen. Das Bildfeld hellt auf, und schwache Sterne sind nicht mehr zu erkennen. Die Grenzgröße sinkt somit.
Womöglich nur zum Schein genauFilmt man Sternbedeckungen, kann man von der Aufnahmesoftware digitale Zeitmarkierungen in jedes einzelne Frame einstempeln lassen. Das erleichtert die Auswertung der Videos ungemein.Doch auch wenn die softwaremäßig eingestempelten Zeitmarken sogar die Tausendstel Sekunde nennen - niemand scheint sagen zu können, wie sehr diese tatsächlich die reale Uhrzeit repräsentieren.

Tatsächlich sollen bei dieser Form der digitalen Videotechnik Abweichungen von mehreren Zehntelsekunden zur Wirklichkeit vorkommen. In diesem Fall hätte man es bloß mit einer Scheingenauigkeit zu tun.
Eine sichere Abhilfe dürfte nur das direkte Einspeisen der Uhrzeit in ein analoges Kamerasignal bieten, und zwar vor Erreichen des Computers. Daher erfreuen sich analoge Videokameras bei Bedeckungsfreunden noch immer Beliebtheit. Dieses analoge Verfahren erklärt die International Occultation Timing Association auf ihrer Seite.
Achtung, Aufnahme!Ich verwende hingegen ein rein digitales Verfahren - trotz der genannten Unsicherheiten. Hier mein Prozedere:
- Der Stern wird nahe dem Mondrand aufgesucht. Mit den Feinbewegungen des Teleskops rückt man ihn an eine günstige Stelle im Bildfeld, wo die instrumentell bedingte Streuung des Mondlichts schwächer ist.

- Unnötige Programme schalte ich bei Zeiten aus, da sie den Prozessor belasten und so ungenaue Zeitstempel provozieren.
- Um das Video später bequemer mit VirtualDub trimmen zu können, ziehe ich AVI als Dateiformat vor. Grundsätzlich klappt es aber auch mit SER.
- Bei schwachen Sternen wähle ich das größtmögliche Binning (z.B. 4x) für ein helleres Bild. Bei helleren Sternen komme ich ohne Binning aus.
- Die Belichtungszeit wird möglichst kurz angesetzt, um eine hohe zeitliche Auflösung zu erreichen.
- Im Gegenzug erhöhe ich das Gain. Der Stern soll aber jederzeit eindeutig zu erkennen sein - und nicht im Rauschen oder im aufgehellten Bildfeld untergehen. Ein verrauschtes Video erschwert später das Auffinden der entscheidenden Frames: Das feine Sternlichtpünktchen würde darin nämlich zeitweise im Noise-Gewusel verschwinden, um ein paar Frames danach wieder hervor zu treten.
- Um die Bildrate (FPS) noch weiter zu steigern, enge ich den Bildausschnitt (Region of Interest, ROI) stark ein. Zu klein darf er aber nicht sein, sonst wird Zeitstempel abgeschnitten! Ich muss der ROI bei vierfachem Binning eine Mindestbreite von 300 Pixel einräumen.

- Erst wenige Minuten vor der Bedeckung führe ich ein Update der Systemzeit mit NetTime durch, einem Network Time Synchronization Tool. Darin hinterlegt ist ein möglichst naher Serverpool (in Österreich z.B. at.pool.ntp.org)
- Nun schalte ich die Zeitstempelfunktion der Aufnahmesoftware FireCapture ein.
- Mehr als rechtzeitig klickt man die Rec-Schaltfläche der Aufnahmesoftware an und verfolgt den weiteren Ablauf am Monitor mit. Mehrere Sekunden nach der sicher erfolgten Sternbedeckung wird die Aufnahme beendet.
- Zur Sicherheit überprüfe ich die Systemzeit gleich danach mit time.is
Ein Bild mit, eines ohne SternDie Auswertung kann zeitlich völlig unabhängig von der Beobachtung erfolgen. Und das sogar mehrmals, falls Unsicherheiten auftreten. Das fertige Video wird mit einem Player jedenfalls Bild für Bild betrachtet.Ich nütze dazu am liebsten VirtualDub. Darin lässt sich von Frame zu Frame springen, und zwar sowohl vorwärts als auch rückwärts. Das hilft bei der Suche nach den entscheidenden Einzelbildern.Bei dieser Gelegenheit schneide ich fast alles vor und nach dem Ereignis weg. Dieses Cutten nimmt keinen Einfluss auf die Zeitstempel. Das stark gekürzte Video von ein paar Sekunden Dauer beansprucht kaum noch Platz. Es wird sicherheitshalber archiviert.

Beim Eintritt eines Sterns am Mondrand sucht man im Video das letzte Frame, auf dem der Stern definitiv noch sichtbar ist - und das erste, auf dem er das sicher nicht mehr ist. Bei Austritten ist es natürlich umgekehrt.Die eingestempelten Uhrzeiten auf diesen beiden benachbarten Frames (T1, T2) werden abgelesen. Irgendwann zwischen T1 und T2 fand das Ereignis statt. Einen genäherten Zeitpunkt dafür erhalte ich durchs mathematische Mittel. Dafür reichen die Sekunden samt ihren Stellen hinterm Komma:
- T = (T2 + T1) / 2
Beispiel: Eine Bedeckung findet kurz nach 18:31 UT statt. Das letzte Frame mit festgehaltenem Stern besitzt den Zeitstempel 18:31:22,769 s. Das unmittelbar darauf folgende Bild zeigt den Stern nicht mehr. Zeitstempel: 18:31:22,796 s. Wir verwenden für die Mittelwertbildung nur die Sekunden und erhalten 22,7825 s. Der Stern verschwand also um 18:31:22,7825. Gerundet: 18:31:22,78 UT
Mitunter ist der Stern auf dem letzten Frame, das ihn noch zeigt, schwächer als auf allen Einzelbildern davor. Dann verschwand er offenbar, während genau dieses Bildchen belichtet wurde. Das Bild hat somit weniger Sternenlicht abbekommen. Dann interpretiere ich die Zeit dieses letzten, "teilbelichteten" Frames ohne weitere Mathematik als Bedeckungstermin.
Schneller als Hollywood
Nötig ist es nicht - aber wer möchte, kann die zeitliche Auflösung berechnen:
- A = T2 - T1
Das ist auch der Kehrwert des FPS-Werts (frames per second) der Aufnahme.Beispiel: Im obigen Exempel beträgt die zeitliche Auflösung 0,027 Sekunden oder 27 Millisekunden. Das ergibt 37 FPS. Zum Vergleich: Bei Spielfilmen in TV oder Kino beträgt die Framerate 24 FPS. Wir waren also schneller als Hollywood.Alle Angaben ohne Gewähr